Den Grundbaustein für die heutige Existenz einer Anspruchsgrundlage
des Bürgers gegen den Staat bei nicht
rechtzeitiger Umsetzung von Richtlinien legte der EuGH 1991
im Francovich - Urteil1. Daraus geht hervor, dass im Falle einer
nicht erfolgten Richtlinienumsetzung der dadurch Schaden erleidende
Bürger seine Rechte direkt aus der Richtlinie ziehen
kann, um bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen vom Staat
Schadensersatz verlangen zu können. Während früher die Richtlinienbestimmungen
den nationalen Gesetzgebern noch weite
Gestaltungsspielräume ließen, werden jetzt mit fortschreitender
Integration die Richtlinienregelungen immer detaillierter, konkreter
und bestimmter und sind so gefasst, dass sie sogar teilweise
direkt Rechte für den Marktbürger ausgestalten2. Den Mitgliedstaaten
bleibt oft nur noch die Entscheidung über die Wahl
der Rechtsform, in der die Transformation erfolgen soll, aber
keinerlei Optionen hinsichtlich des zu erreichenden Zieles3. Die
Konsequenz hieraus ist eine immer längere Zeitspanne zwischen
Richtlinienerlass und innerstaatlicher Transformation4. Dass die
Mitgliedstaaten die Richtlinien aber nicht oder nur unzureichend
umsetzen, wollte der EuGH in seinem Francovich-Urteil entgegentreten.
Uneinigkeit besteht in der Literatur darüber, welche
Haftungsgrundlage dieser Staatshaftungsanspruch haben soll.
Der EG-Vertrag sieht eine Haftung der Staaten nicht vor5 - lediglich
Art 288 II EG lässt die Gemeinschaft insgesamt haften.
Darin liegt ein weiterer Ansatzpunkt für die Literatur, an der
Kompetenz des EuGH für seine im Francovich-Urteil getroffenen Entscheidung zu zweifeln: Die Meinungen reichen
vom Vorwurf unzulässiger Rechtsfortbildung6 bis hin zum Verständnis
der Notwendigkeit einer solchen Haftung mit daraus resultierender
Akzeptanz der vom EuGH gewählten Rechtsgrundlagen7.
1 EuGH Rs. C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357-5418.
2 Pieper in DVBl 1990, 684, 685.
3 Pieper in DVBl 1990, 684, 685.
4 Pieper in DVBl 1990, 684, 685.
5 Böhm in JZ 1997, S. 53, (54); Nettesheim in DÖV 1992, S. 999, (1000).
Rupp, Anmerkung zum Beschluss des BVerfG vom 8.4.1997 in JZ 1988,
S.194, (195).
7 Hidien, Staatshaftung; S. 15.